Polen hat einen neuen Präsidenten: Andrzej Duda. Als eine der Hauptursachen für seinen Wahlerfolg gilt der als Ignoranz erscheinende Kontaktverlust der Regierung. Ein Blick auf die Ergebnisse der polnischen Präsidentschaftswahlen.
Der Wahlkampf zum höchsten polnischen Staatsamt im Frühjahr 2015 war, entgegen der allgemeinen Erwartungen und einem eher langweiligen Start, voller Überraschungen. Sieger ist der 43-jährige Andrzej Duda, Kandidat der Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS). Über Monate hinweg waren viele Kommentatoren und das Regierungslager trotz kontinuierlich sinkender Zustimmungswerte für den seit August 2010 amtierenden Präsidenten Bronisław Komorowski fest davon überzeugt, dass dieser ohne Umschweife für eine zweite Kadenz bestätigt würde. Entsprechend präsidial und wenig dynamisch gestaltete sich seine Wahlkampagne unter dem Motto "Wähle Einvernehmen und Sicherheit" ("Wybierz zgodę i bezpieczeństwo"). Mit diesem Leitmotiv wollte sich Komorowski mit Blick auf die Krise in der Ukraine und die seit Jahren durch die Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) von Jarosław Kaczyński geschürte innere politische Polarisierung als Stabilitätsgarant profilieren.
Spätestens der erste Wahlgang am 10. Mai machte jedoch deutlich, dass diese Rechnung nicht aufging. Den ersten Platz belegte mit 34,8 Prozent sein Hauptkonkurrent Andrzej Duda von der PiS, Bronisław Komorowski erreichte ein Ergebnis von lediglich 33,8 Prozent. Die zweite Überraschung war die fulminante Unterstützung von 20,8 Prozent für den ehemaligen Rockstar Paweł Kukiz, der mit wahllosen populistischen Parolen, jedoch hauptsächlich mit einer landesweiten Einführung eines Mehrheitswahlrechts in Einpersonenwahlkreisen warb. Die verbleibenden acht Kandidatinnen und Kandidaten lagen bei einer Wahlbeteiligung von circa 49 Prozent unter 4 Prozentpunkten (siehe die Ergebnisse im Einzelnen auf der Seite der Staatlichen Wahlkommission PKW).
Weder die daraufhin von Komorowski gemachten hektischen Versprechungen bezüglich eines Referendums zur Wahlrechtsänderung, mit der die Protest-Wählerschaft von Kukiz gewonnen werden sollte, noch die breite Unterstützung vieler Prominenter über Parteigrenzen hinweg, konnten diesen Trend stoppen. Im Gegenteil: Sie schienen gerade einen der an ihn gerichteten Hauptvorwürfe – Opportunismus und Zugehörigkeit zum Establishment – zu bestätigen. Da half auch nicht mehr, dass der amtierende Präsident in den beiden Fernsehdebatten fachlich und persönlich besser abschnitt als sein Konkurrent. Bei einer Wahlbeteiligung von circa 55 Prozent konnte Andrzej Duda den zweiten Wahlgang am 24. Mai mit 51,5 Prozent der Stimmen erneut für sich entscheiden, was Bronisław Komorowski umgehend anerkannte (vgl. die Ergebnisse der PKW). Der 1972 geborene Rechtswissenschaftler Duda war Unterstaatssekretär im Justizministerium, später Staatssekretär in der Präsidialkanzlei von Lech Kaczynski und wurde 2011 in für die PiS in den Sejm gewählt. Seit 2014 ist er Abgeordneter im Europaparlament.
"Zeit für einen Wechsel"
Eine der Hauptursachen für dieses Ergebnis ist der als Ignoranz wahrgenommene Kontaktverlust des Regierungslagers aus Bürgerplattform (PO) und Bauernpartei (PSL) mit den Bürgerinnen und Bürgern und deren sozialen Problemen und politischen Prioritäten. Gleichzeitig muss die raffinierte Strategie der PiS Beachtung finden, die mit enormen sozialen Wahlsprechen auf unzähligen lokalen Treffen und in sozialen Medien sowohl die eigene traditionelle treue (nationalistische) Wählerschaft mobilisierte, sowie gleichzeitig unter dem Slogan "Zeit für einen Wechsel" ("Czas na zmianę") von acht Jahren PO-Regierungszeit frustrierte Wählerinnen und Wähler gewinnen konnte. Außerdem gelang ihr ein informelles Einvernehmen mit marginalisierten linken/linksliberalen Gruppierungen. Enttäuscht von ihrem Unvermögen, ausreichend Unterschriften für eigene Kandidatinnen und Kandidaten zu sammeln, beziehungsweise demoralisiert von den miserablen Wahlergebnissen von Magdalena Ogórek (SLD, 2,4 Prozent) und Janusz Palikot (Deine Bewegung, 1,4 Prozent) können diese durch einen Sieg von PiS auf das Aufbrechen des starren Duo-pols PO-PiS wetten. Aus dieser Motivation heraus gingen viele Linke überhaupt nicht wählen oder stimmten im zweiten Wahlgang sogar für den Kandidaten der PiS.
Ob dieses Kalkül aufgehen wird, werden die nächsten Monate zeigen. Im linken Spektrum sind neue Parteigründungen zu verzeichnen. Es bleibt abzuwarten, ob gemeinsame Wahllisten mit der Grünen Partei für die Parlamentswahl im Oktober 2015 zustande kommen. Ein großes Fragezeichen ist die Protestbewegung von Kukiz, hinter der ehemalige Aktivisten der PO aus Niederschlesien zu stehen scheinen. In jedem Falle steht den Polinnen und Polen ein ununterbrochener, voraussichtlich emotional geführter und politisch hektischer Wahlkampf bis zu den Parlamentswahlen im Herbst ins Haus. Duda, der sein Amt ohnehin erst Anfang August antritt, wird ohne eine ihm gewogene Mehrheit im Parlament nur wenige seiner teuren Versprechungen durchsetzen können.
Folgen für Europa
Die Auswirkungen für die Rolle Polens in Europa sind im Moment noch nicht absehbar. Die Europa- und Außenpolitik hat im Wahlkampf nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Für eine dauerhafte NATO-Präsenz traten beide Kandidaten ein. Bezüglich dem Vorgehen gegenüber Russland in der Ukraine-Politik herrscht inhaltlich mehr oder weniger Konsens zwischen PiS und PO, wobei Duda hier wie allgemein gegenüber größeren europäischen Ländern wie Deutschland ein ostentativ "selbstbewussteres Auftreten" anmahnt. Das wichtigste europapolitische Postulat von Duda ist die stärkere Wahrung und Vertretung polnischer nationaler Interessen innerhalb der EU, ohne dass dies bisher mit konkreten Themen und Beispielen untermauert wird. Theoretisch steht die PO zwar für einen zügigeren Euro-Beitritt als die PiS, aber in der Praxis spielte dieses Thema im hauptsächlich innen- und dabei sozialpolitisch orientierten Wahlkampf weder bei Komorowski noch bei Duda eine wesentliche Rolle.
Viele der (in deutschen und europäischen Medien) dargelegten Schreckensszenarien und die Stimmen zur "Orbanisierung" Polens beziehen sich bisher eher auf alte Aussagen von Kaczynski, der sich im Wahlkampf selber erstaunlich zurückhaltend gegeben hat. Duda betont gerne seine Unabhängigkeit. Um die Konsequenzen dieser Wahl für die deutsch-polnischen und europäischen Beziehungen realistisch abschätzen zu können, wird sich daher erst zeigen müssen, inwieweit sich der ehemalige EP-Abgeordnete und neue Präsident Duda tatsächlich von Parteichef Jarosław Kaczyński emanzipieren wird und welche Lehren aus dem Scheitern der ersten Regierung PiS gezogen wurden. Die PO wiederum wird sich entscheiden müssen, ob sie ihrer Strategie einer Modernisierung Polens durch eine konstruktive Rolle in der EU treu bleibt, oder sich gegenüber der PiS mit der im Wahlkampf geforderten "aktiveren Vertretung nationaler Interessen" profilieren will.